Ein Kriegsschrottplatz in der Arktis

Wir laufen unter Maschine im Ikateq-Sund. Schon von weitem fällt er einem ins Auge, der verrostete alte Kran am Nordufer. In rund 18 Meter Wassertiefe fällt der Anker. Wir sind da. Vor uns liegt der aufgelassene US Luftwaffenstützpunkt Bluie East 2. Ein rostiges Relikt des 2. Weltkriegs. Der Kran steht auf einem verfallenen Anleger, darüber erkennt man sofort die ca. 1500 Meter lange Landepiste, die parallel zum Ufer verläuft. Mehr ist vom Schiff aus nicht zu sehen, da die 1942 aus dem Boden gestampfte Militäreinrichtung auf einem schlecht einzusehenden Hochplateau liegt. Den ersten Gesamteindruck verschafft sich unser Kameramann Tim. Er startet seine Drohne , überfliegt das rund einen Quadratkilometer große Areal und kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Da stehen diverse Lkw mit geschwungenen Kotflügeln, wie man sie aus alten Filmen kennt. Das ausgebrannte und zusammengefallene Skelett eines Flugzeughangars ist zu erkennen, Dampfkessel, Fundamente von Holzhütten und rostig braune Fässer. Überall Fässer.

Einzelne, in Reihen abgelegte, zu wilden Haufen aufgetürmte oder fein säuberlich gestapelte 200 Liter Fässer. Tausende, wahrscheinlich weit mehr als 10.000. Einfach stehen gelassen in der Natur Grönlands. Alle Fässer haben drei große Buchstaben in den Blechdeckel geprägt: USA. Ab 1942 wurde Bluie East 2 genutzt, um im Niemandsland der Arktis amerikanische Kriegsflugzeuge auf dem Weg nach Nazi-Deutschland aufzutanken. Auch viele militärische Rettungseinsätze wurden von hier gestartet. 1947 war Schluss. Von einem Tag auf den anderen verließen die Amerikaner Bluie East 2 und ließen alles stehen und liegen. Alles! In den Jahren danach bauten die Grönländer ab, was sie selbst noch gebrauchen konnten. Zurück blieben Schrott und abertausende Blechfässer. Bis heute. In keiner Seekarte und keinem Handbuch erwähnt. Und nun stehen wir hier und sind tief beeindruckt. Beeindruckt von den Mengen an Material, beeindruckt von der historischen Last auf diesem Ort, beeindruckt vom morbiden Charme der Szenerie. 

Zwei Tage sind wir vor Ort. Von morgens bis abends. Erkunden das Gelände, nehmen Bodenproben und dokumentieren jedes Detail durch Foto - und Filmaufnahmen. Denn Bluie East 2 könnte sich schon bald verändern. Endlich, nach mehr als 70 Jahren soll hier aufgeräumt werden. Aber nicht von den Verursachern, den Amerikanern. Nein. Die haben sich ihrer Verantwortung schon in den fünfziger Jahren entledigt, indem sie einen Vertag schlossen mit Dänemark, das damals das Sagen hatte in Grönland. Einfach ausgedrückt, wurde in dem Vertrag ausschließlich der amerikanische Standpunkt zu Papier gebracht. Frei nach dem Motto: Wir Amerikaner haben Euch den Arsch gerettet vor den Nazis, jetzt könnt Ihr auch mal den Müll wegräumen. Dänemark unterschrieb – und tat jahrzehntelang nichts. Erst 2018 wurde ein Vertrag mit Grönland unterzeichnet, der besagt, dass Dänemark bis 2024 insgesamt knapp 26 Millionen Euro zur Verfügung stellt, um in Grönland die amerikanischen Hinterlassenschaften abzuräumen. Es soll auf der größten Insel der Welt noch bis zu 30 (!) US Militäreinrichtungen aus dem 2. Weltkrieg geben.

Im Rahmen einer Ausschreibung wurde eine grönländische Firma namens 60 North ausgewählt, um Bluie East 2 endgültig zu entsorgen. Eine Mammut-Aufgabe. Einerseits ist es die gigantische Menge an Material, die weg soll, auf der anderen Seite die schwierige Logistik. Zu erreichen ist der ehemalige Luftwaffenstützpunkt natürlich nur aus der Luft oder per Schiff und das auch nur in den eisfreien Sommermonaten Juli und August. Zudem wird schweres Gerät benötigt, da auch der Boden abgetragen werden müsste. Denn Bluie East 2 könnte eine tickende ökologische Zeitbombe sein. In den Fässern wurde offenbar Flugbenzin, anderer Kraftstoff, Heizöl und Schmierstoff transportiert. Viele der Fässer waren nicht leer. Im Laufe der Jahre sind sie geplatzt und der Inhalt ausgelaufen. Der Boden in der Region könnte umfangreich vergiftet sein. Mit der Schneeschmelze könnten schädliche Stoffe jedes Jahr in den Sund gespült werden. Um das herauszufinden, haben wir die Bodenproben genommen. Im Institut für Umweltanalytik im bayrischen Möhrendorf wird Raimund Funke die 34 gesammelten Proben genau analysieren. Danach wissen wir mehr.

Einige Menschen in Tasiilaq, der nächstgelegenen großen Siedlung haben Ihre ganz eigene Meinung zum Thema Bluie East 2 : Sie wollen, das mögliche Giftstoffe unbedingt entfernt werden, ansonsten soll der Schrott aber bleiben. Die US Airbase sei eine kulturhistorische Stätte und deshalb solle sie erhalten bleiben. Für uns durchaus verständlich, gibt es doch bereits sowas wie Bluie East 2 – Tourismus in Tasiilaq: Vereinzelt werden schon Gäste in kleinen Motorbooten zur US Aisbase gefahren, um sich die militärische Schrotthalde anzuschauen. Zumindest eine kleine Einkunftsquelle in der ansonsten von Arbeitslosigkeit geprägten Gemeinde. Die mögliche Umweltgefahr auf dem ehemaligen US Luftwaffenstützpunkt bringt Arved treffend auf den Punkt: Die amerikanischen Umweltgesetze sind streng und das ist auch gut so. Für die Sauerei, die in Grönland möglicherweise zurückgelassen wurde, würde man in den USA ins Gefängnis gehen….