Ganze fünf Tage waren wir auf See und jeden Moment sollte die Südküste Grönlands vor uns auftauchen. Dann jedoch ein holpriges Geräusch aus der Maschine und wir kehrten mit einem Schaden am Verstellpropeller um – ohne, dass ich die Küste von der ich so lange schon träumte zu Gesicht bekam, geschweige denn betreten konnte. Was folgte waren sieben weitere Tage auf See, mit wunderbarem Segelwetter, totaler Flaute und schwerem Sturm, nach denen wir das letzte Stück von einem Hafenschlepper an eine Pier auf Island geschleppt wurden. Diese Reise hatten wir alle uns ganz anders vorgestellt.

Dieses Jahr bekam ich also eine zweite Chance endlich nach Grönland zu gelangen. Als ich in Isafjördur an Bord ging waren mir (wie den meisten anderen auch) die Sturmtage des vergangenen Jahres noch lebhaft in Erinnerung geblieben und ich fragte mich, ob uns dieses Jahr in der berüchtigten Dänemarkstraße ähnliche Bedingungen erwarten würden. Die Wettervorhersage jedoch versprach etwas vollkommen anderes und bewahrheitete sich unserer Skepsis zum Trotz: vom Auslaufen bis zur Ankunft hatten wir eine ruhige See und wenig Wind. Dieses Jahr musste es also klappen.

Die ersten Eisberge sichteten wir nicht einmal auf halber Strecke zwischen Island und Grönland. Kaum konnte ich mir zu diesem Zeitpunkt vorstellen, dass uns bis zu unserem Bestimmungsort noch etliche mehr – noch größere – begegnen sollten. War dieser erste Anblick bereits mehr als eindrucksvoll, bot der der grönländischen Küste ein durch und durch surreales Bild: An unserem dritten Seetag, als wir gerade unsere Mitternachtswache antraten, war sie steuerbords bereits zu sehen. Scharf zeichneten sich die schneebedeckten Gipfel der kantigen Berge gegen den rötlichen Sonnenuntergang ab; und vor dieser atemberaubenden Kulisse natürlich Eisberge. Die gesamte Wache über kamen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus, weil immer neue Eisberge auftauchten und mit zunehmendem Licht immer mehr Details der Küste erkennbar wurden. Auch sichteten wir mehrmals Buckelwale, die teilweise sehr dicht an das Schiff herankamen.

Während unserer Mittagswache gelangten wir schließlich an die Einfahrt des Fjordes, in dem unser Zielort Tasiilaq liegt. Jetzt, wo die Dagmar Aaen vor dieser kleinen an einem Hügel gelegenen Stadt mit ihren bunten Häusern in einer stillen Bucht, inmitten von Eisbergen vor Anker liegt, kommt es mir beinahe immer noch unwirklich vor, dass wir tatsächlich in Grönland sind. Ich schätze mich glücklich, dass es dennoch so ist.

Jeremias