Die Expedition hat wieder Fahrt aufgenommen. Wir laufen vor dem Wind und mit günstiger Strömung mit über acht Knoten durch die helle Nacht Richtung Süden. Es ist gut wieder etwas verlorene Zeit aufzuholen und alle an Board freuen sich über die schnelle Fahrt. Heute wollen wir durch den Ikerasassuaq (Prinz Christian Sund) den langen Weg um das Kap Farvel abkürzen, eine malerische Durchfahrt durch steile Bergschluchten steht uns bevor.

Am Samstag hat der letzte Crewwechsel für die kommenden fünf Wochen in Kulusuk stattgefunden - Freda hat uns leider verlassen, dafür sind Elise, Frank, Alex und Volker hinzugekommen. Der Flughafen in Kulusuk diente bis 1991 einer amerikanischen Radarstation als Militärstützpunkt, heute gleicht er einem Provinzbahnhof mit Wohnzimmeratmosphäre. Der Check-in Schalter, die Abfertigungshalle, das Restaurant und der Duty-free Shop sind ein einziger ca. 50qm großer Raum. Von der Wand bröckelt der Putz, über der Gepäckabgabe ist ein Eisbärfell aufgehängt. Der Ort selbst lädt nicht weiter zum Verweilen ein und leidet darunter, dass er für alle Reisenden eigentlich nur als zwangsläufige Durchgangsstation nach Tasiilaq gesehen wird. Wir sind nun bis auf die sogenannte Notkoje im Vorschiff, normalerweise dient diese als Stauraum, mit 11 Frauen und Männern voll besetzt.

Vor unserer Abfahrt haben wir noch die Vorräte aufgestockt und konnten am Freitagnachmittag noch verschiedene Ausflüge unternehmen. Brigitte, Thomas und Peter sind in das Tal der Blumen gewandert und Freda, Kristian, Lauren und Justus sind auf den Hausberg gestiegen. Von dort hatten wir einen atemberaubenden Blick entlang der Ostküste Richtung Süden, auf das Inlandeis im Westen, auf die Stadt und die nun Ameisengroße Dagmar Aaen im Norden und auf die Bucht von Ammassalik mit ein paar kleinen und großen Eisbergen im Osten. Es tut gut, sich nochmal die Beine zu vertreten, an Board sind die Wegstrecken doch recht kurz.

Die Ostküste ist mit den steilen Bergen, die aus dem Meer wachsen und von den Gletschern auseinandergesprengt werden, überwältigend. Das Wetter erlaubt es Stundenlang an Deck zu sitzen und diese schöne alpine Landschaft an sich vorbeiziehen zu lassen. Wir sind alle begeistert und einzig die Wale und Eissturmvögel lenken vom Panorama ab. Wir schmieden schon Pläne für die nächste Reise an diesen Teil der Ostküste. Diesmal soll unser Ziel aber der Nordwesten Grönlands sein.

Sorgen macht uns nur, dass wir so wenig Eis sehen. Im Reiseführer steht geschrieben, die eisige Ostküste ist selbst im Sommer von einem dichtem Pack- und Treibeisgürtel fest umschlungen. Wir hingegen können derweil direkt an der Küstenlinie fahren, Eisberge kommen nur vereinzelt vor und stellen kein Problem für uns dar. Arved berichtet, dass der Weg durch den Sund nach Qaqortoq, unserem nächsten Hafen, mitunter selbst im Sommer nicht frei zugänglich und der weite Weg ums stürmische Kap Farvel die einzige Möglichkeit war, dem schweren Eis aus dem Weg zu gehen und nicht Gefahr zu laufen eingeschlossen zu werden. Diesen Weg müssen wir diesen Sommer sicherlich nicht nehmen.

 

Justus