Auf See von Keflavik nach Tasiilaq

Die neue Zugstange hat die Testfahrt in der Bucht von Reykjavik bestanden! Es ist Samstagabend, die Stimmung gelöst und alle sind erleichtert. Der Kapitän lädt zum Drink ein.

Am Sonntag in der Früh, nachdem der Zoll an Bord war, setzen wir Segel Richtung Tasiilaq, der „Perle“ an Grönlands Ostküste. Die größte Stadt der Ostküste auf der Halbinsel Ammassalik spiegelt Grönland konzentriert in all seiner Schönheit, mit all seinen sozialen Problem, die mit dem erzwungenen Wandel der Lebensumstände einhergehen. Eine Stadt so weit abgelegen, dass die Regale im Supermarkt nur in den drei Sommermonaten frisch befüllt werden können. Eine Region geprägt vom Wandel der modernen Gesellschaft einer „Groß“stadt und den halb nomadisch lebenden Jägern draußen in den Fjorden entlang der Küste.

Dies ist für uns aber noch in weiter Ferne. Die Neuen an Bord müssen sich erst einmal einfinden und das ein oder andere Seebein muss noch wachsen. So segeln wir die ersten beiden Tage bei einer frischen Brise und bedecktem Himmel vom Rhythmus der Wachen geprägt mit Kurs West. Unseren ständigen Begleiter auf der Überfahrt sind die eleganten Eisstürmvögel, die immer wieder die Aufwinde vom Schiff und den Wellen nutzen, um längsseits an der Bordwand entlang zu gleiten. Am zweiten Tag werden wir über einen längeren Zeitraum von einer Grindwal-Familie begleitet. Um so näher wir der grönländischen Küste kommen, um so öfter sehen wir auch Zwerg- und Buckelwale sowie einen Finwal.

Am dritten Tag auf See fällt die Wassertemperatur deutlich, der Wind dreht auf West und flaut deutlich ab, der Himmel klart auf. Ab jetzt halten wir Ausschau nach Eisbergen. Und pünktlich zum Nachmittagskaffee zeigt sich auch das erste Eisschloss am Horizont, der Radar zeigt eine Entfernung von 13 Meilen an. Von jetzt an heißt es während der Wachen besonders gut aufzupassen. Auf dem Vorschiff wird Eiswache gegangen, bei der Mitternachtsonne lassen sich jedoch auch die ganze Nacht hindurch Eisbrocken im Wasser gut erkennen. Gefährlich sind für uns nicht die großen Berge, sondern die kleinen sogenannten Grauler. Bruchstücke, die fast nicht aus dem Wasser schauen, jedoch auch mehrere Tonnen schwer sind. Ein Zusammenstoß bei voller Fahrt ist daher unbedingt zu vermeiden.

Morgens gegen 5 Uhr erreichen wir die Küste, von jetzt an fahren wir in einer Landschaft wie im Märchen der Eisprinzessin. Jedoch müssen wir feststellen, dass auch hier die Hitzwelle angekommen ist. Arved erklärt, dass er noch nie so wenig Eis gesehen hat in diesem Teil Grönlands. Das See- bzw. Packeis fehlt komplett, die Eisbedeckung der Seefläche ist gering und es sind nur verhältnismässig wenige Eisberge zu sehen. Die Süßwassereisberge entstammen Kalbungen der Ostküstengletscher und werden von der Strömung bis hinunter zum Kap Farvel getragen, von dort können sie bei entsprechender größe bis nach Kanada wandern. Ebenso die Ansteuerung nach Tassilaq gelingt uns zwischen den Eisbergen fast mühelos.

Dort erfahren wir von Arveds Bekannten, dem Tiroler Bergsteiger und Abenteurer Robert Peroni, dass das Versorgungsschiff bereits Ende Juni das erste Mal in den Hafen einlaufen konnte. Er zeigt sich besorgt über den besonders stürmischen Winter und erzählt uns, dass verhältnissmäßig viel Schnee in den Bergen liegt. Auch in Grönland sind die besonderen Wetterverhältnisse in diesem Jahr zu spüren. Robert hat bereits im Jahre 1983 das Inlandeis in Grönland durchquert und sich in Tassilaq niedergelassen. Er bereitet uns einen sehr herzlichen Empfang und wir freuen uns bereits sehr auf seinen Gegenbesuch hier an Bord.

Jetzt liegt die "Dagmar Aaen" wie gemalt in der Eisbucht vor den farbenprächtigen Häusern Tasiilaqs vor Anker und wir freuen uns darauf, die Stadt weiter zu erkunden.

Justus